Architektur erfahren durch Zeichnen
Im Rahmen des Jahresthemas Archetypen in der Kunst ging es bei diesem Projekt um die Auseinandersetzung mit grundsätzlichen Fragen zum Thema Wohnen. Bei der praktischen Arbeit am Modell spielten beim Durchsetzen bzw. Zurückstellen von persönlichen Bedürfnissen gruppendynamische Prozesse eine wichtige Rolle.
Den theoretischen Ansatz des Architektur-Projektes bildeten Bernard Rudofskys Ideen zur Anonymen Architektur (?Architektur ohne Architekten?, Residenz-Verlag)

• Anhand von Beispielen aus dem Tier- (Nestbau, Schnecken) und Pflanzenreich (Blattstrukturen, Affenbrotbaum)&Mac226; geologischen und tektonischen Formationen (Höhlen- und Felsformen ...) wurden Analogien zu menschlichen Ansiedlungen und Bauweisen hergestellt und unter dem Aspekt des funktionalen, organischen, landschaftsbezogenen Bauens analysiert.

• Die Diskussion über historische, geographische, gesellschaftliche und individuelle Fragen und Zusammenhänge fand hier ihren Ansatz und begleitete im weiteren die praktische Arbeit.
• Ein Stadtspaziergang zum „Bauplatz“ (ein ehemaliger Steinbruch im Konglomeratgestein am Mönchsberg, dessen Felsstufe zum darunterliegenden Stadtteil Mülln abfällt) bot Anlass, diese Diskussion zu vertiefen, wichtige Bedingungen (Stadtraum, Infrastruktur, Tektonik, Lage, Lichtbedingungen) vor Ort zu verdeutlichen, vor allem aber den RAUM (auch als Lebensraum) spürbar zu machen.

• Um die Frage der lndividualbedürfnisse „neutral“ zu behandeln, hatten die Schüler die Aufgabe, fiktive Personen (Bewohner) zu erfinden und sie in Steckbriefen/Psychogrammen zu beschreiben; diese wurden dann durch das Los umverteilt. Der soziale Aspekt; die Auseinandersetzung und die Identifikation mit der jeweiligen Persönlichkeit und deren Bedürfnissen - stand dabei im Vordergrund.



• Einige Bewohner des Wohnregals
Gekko Simpson: 28-jähriger Schüttbildkünstler, deshalb wohnt er in einem unterirdischen Atelier.
lrina: Tänzerin; liebt die Aussicht und hat deswegen Wände aus Glas und einen Aussichtsturm, der für alle begehbar ist.
Rudolf Heinrich: Pensionist und Eisenbahnfanatiker; seine Modellzüge fahren durch alle Gänge des Regals. Um auch in seiner Wohnung alles im Auge behalten zu können, hat er einen Wohnraum, der nach allen Seiten Ausblick gewährt.
Frau Hatschmaham: Rollstuhlfahrerin, aber sehr kontaktfreudig und fühlt sich in ausgegrenzt; sie ist Staatsanwältin und hat zwei Kinder. Sie verfügt über einen eigenen Lift, um ihre Nachbarn besuchen zu können; der Lift ist ihr Lebensraum.
Kerstin Schweiger: 43-jährige Architektin; kontaktfreudig; telefonsüchtig; fotografiert gerne; braucht eine kleine Wohnung fürs Wochenende zum Ausspannen - nur für sich, mit Fotolabor, netten Menschen und Telefonanschluss; 2 Kinder, nimmt sie aber nie ins Wochenende mit.
Herbert Görgens: Chemiker, der am liebsten in seinem großen Labor arbeitet; sein Hobby ist das Beobachten von Regenwürmern, die er leidenschaftlich gern züchtet; wenig Kontakt zu seiner Außenwelt.
Xaver Hintermeyer: 24-jähriger Kfz-Mechaniker und Musikstudent; Rockmusiker, der oft mit seinen Freunden in der Wohnung probt und den Unmut seiner Nachbarn erregt.
25-jähriger Biologie-Student: liebt Pflanzen, Tiere und Umwelt; Öko-Aktivist; demonstriert gegen Atomkraft; verbringt die meiste Zeit in der Natur, braucht seinen eigenen Garten/Glashaus.
Jan: 24-jähriger Fotograf und Hobby-Maler, hat gerade international Karriere gemacht, braucht Publikum.

Das Holzmodell (= Regal) hatten Studenten der Werkerziehung an der Hochschule Mozarteum bereits im Vorfeld (Maßstab 1:50) gebaut. Das Thema Wohnen wurde zunächst monofunktional (Synthese Wohnen Leben Arbeiten Erholen) bearbeitet. In die vorgegebene Holzskelettkonstruktion, die sich an die Felswand anlehnt, galt es, individuelle Raumkonzepte einzusetzen. Die umgebende Landschaft sowie Bezüge zur Stadt konnten als Planungsraum mit einbezogen werden.
Die gesamte praktische Phase war charakterisiert durch ein sehr offenes Arbeitsklima. Das Modell und die Arbeit am Modell standen im Mittelpunkt: Jeder Schüler musste ein Raumkonzept entwickeln, abgestimmt auf die Bedürfnisse des jeweiligen Bewohners, und in diesem Sinne das Regal „besetzen“.

• Grundsätzliche Fragen ergaben sich:
Was sind meine/seine Wohnbedürfnisse? Was ist (mein) Lebensraum? Wo und wie überschneiden sich diese Individualräume? Ergeben sich dadurch Räume, die gemeinschaftlich (nachbarschaftlich) genutzt werden sollen?
Formale und funktionale Probleme, wie z.B. die Erschließung des Objektes, mussten von allen gemeinsam gelöst werden.
Eine intensive individuelle Betreuung, die Zusammenhänge aufzeigte, Anstöße bot, Diskussionen herbeiführte, technische Hilfestellung leistete, bildete die Voraussetzung. Die Halbtage waren strukturiert durch regelmäßige Gesprächsrunden im Plenum, wo jeder über seine Arbeit reflektieren, seine Lösung begründen und sich der allgemeinen Kritik aussetzen konnte.

Nachdem am ersten Tag der Einstieg - die Besetzung des Modells - nur sehr zögernd und vorsichtig passierte - zu stark waren eingefahrene, hinlänglich bekannte Vorstellungen und Zwänge - konnten wir in der Folge erleben, wie sich die Schüler davon befreiten und das Regal sich immer mehr Raum verschaffte, sich ausbreitete: zu einem Organismus, zu einer Stadt im allerbesten Sinn.

Finanzierung: Österreichischer Kulturservice und Kultur & Schule (Honorar), Architektenkammer Salzburg (Material).

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