Das im September 1997 im öffentlichen Stadtraum gelebte Wohnmodell Minimal Housing – Erforschung der eigenen Leibeshülle fand im Rahmen der Hochschulforschungsarbeit der Hochschule Mozarteum statt. ?Minimal Housing? war ein eintägiges Architekturimplantat in der Altstadt von Salzburg. Lebensprozesse wie Kochen, Schlafen oder wohnendes Flanieren wurden in acht stationären bzw. nomadisierenden Architekturen in den Stadtraum eingesetzt und sorgten im gewohnten statischen Bild der Stadt bei den Bewohnern für Verunsicherung.

Raum • Körper • Denken • Vergangenheit
Der Raum unterliegt den unterschiedlichsten lnterpretationsmöglichkeiten. Raum kann gesellschaftlich, sozial, psychologisch, politisch, architektonisch, städtebaulich analysiert werden. Die Raumvorstellungen und ihre Beziehungen werden bewusst oder schlafend wahrgenommen.
Dem Raum ist die Luft ausgegangen. Der Raum ist nicht mehr das dreidimensionale Erlebnis und offenbart sich nahezu ausschließlich unsichtbar auf einer seelischen Ebene. Der Raum als Begrenzung unserer Wahrnehmungsfähigkeit und als Begrenzung unseres Bewusstseins ist zunächst zu untersuchen.

Der virtuelle Raum ist eine Totgeburt. Er stillt nicht die Sehnsucht nach dem Du und lässt die Sinne wie die zwischenmenschliche Beziehung verkümmern. Der Raum des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts unterliegt im allgemeinen einem reaktionären Verständnis. Der Raum wird zur Zonierung, zum Hineinpressen in Systeme und Klischees missbraucht. Der politische Raum ist die Wohlstandsdiktatur, beherrscht von Seilschaften und Lobbys. Hierarchische Sozialsysteme begründen sich in den seltensten Fällen auf Kompetenz und sozialer Verantwortung. Die Schaffung und die Erhaltung von Pfründen lähmt zeitgerechte Entwicklungen. Die gegenwärtige kulturelle Aushöhlung ist der Ausdruck unserer Lebensunfähigkeit, die in der Verkümmerung unserer seelischen und geistigen Wahrnehmungsfähigkeit begründet ist. Der kulturelle Raum ist eng geworden, er ist zoniert im Musikantenstadl, in subventionierte, sich anbiedernde Staatskultur und in selten gewordene Anarchie und subversive Kultur, die als Störung empfunden wird.

Der architektonische Raum hat noch immer drei Koordinaten x.y.z, bzw. Länge, Breite und Höhe. Der Architekt als Mordbube der Politiker (Thomas Bernhard) räumt sich seine gesellschaftlichen und finanziellen Pfründe ein. Die Architektur kennt weitere räumliche Raffinessen wie das Vorne und Hinten oder das Oben und Unten. Der Raster ordnet den Raum, bedingt die Wirtschaftlichkeit und unterbindet das Ausklinken aus vorgefassten Strukturen. Der Raster ist die hinterhältigste, lebensfeindlichste Waffe der Architektur und des Städtebaus. Der Schematismus begründet unsere gesellschaftlichen und politischen Räume. Der Raster ist der Raumkerker, in den der Mensch eingepfercht ist. Der Raster ist ein seelisches Folterinstrument, der in seiner räumlichen Manifestation den Menschen systematisch ein- oder ausschließt. Der Raster organisiert und formt den verdauenden, vegetativen Menschen.

Minimal, Minimalismus ist Funktionalismus, ist weniger, oder weniger ist mehr (Mies van der Rohe), oder weniger ist sparsamer, also intelligenter. Wenig könnte heißen, weil nicht mehr leistbar ist oder weil wir nicht zu mehr fähig sind. Minimalismus wächst auf dem Komposthaufen der Rezession zu einer hohlen Formensprache. Minimalismus ist die geile Mode der architektoischen Stümper. Sparta triumphiert eitel über Sybaris (Bernard Rudofsky). Der Verlust des Lebensgefühls lähmt den Lebenswillen. Der Funktionalismus zoniert unsere sozialen und psychischen Lebens(t)räume. Der Zaun ist unmittelbarstes Symbol dieser Eingrenzung.

Minimal Housing versucht aus diesem System ausbrechen. Die Methode liegt im schöpferischen und existenziellen Anspruch des einzelnen Projektanten. Eine Fragestellung war zunächst, ob neue Wohnformen mit dem Ort in Kommunikation treten können. Wohnen beinhaltet vor allem die soziale Komponente. Das Beschreiben der eigenen Wohnform ist ein Beschreiben des eigenen physischen und seelischen Körpers. Das Sprechen über Wohnen ist eine sehr subtile, intime Form des Eindringens in eine nicht sichtbare Welt.
„Minimal Housing“ ist nicht der quantitative, raumlose Anspruch der Satten. Es geht auch nicht um den Weltverbessererstandpunkt. Dass Satte überhaupt Wohnformen für Hungrige sinnvoll planen können, ist schwer vorstellbar.
Die mitteleuropäische Architektur könnte auch als perfide, perverse Kultur gesehen werden, welche die Vollgefressenen bloß zum Rülpsen herausfordert. „Minimal Housing“ ist in Österreich nur persönlich und existentiell entwickelbar. Architekten sollten in Entwicklungsländer auswandern, vielleicht braucht man sie dort.

Minimal Housing ist Leben in der Stadt. Die alte Stadt gilt es dabei zu vergessen, man kann sie in ihren noch funktionierenden Infrastrukturen nützen aber man muss sich sowohl von der historischen wie auch von der Peripheriestadt verabschieden. Die neue Wohnform zeigt den Lebenswillen der Behauser. "Minimal Housing" behandelt mehrere Aspekte des Lebens oder nur einen einzigen. Es ist wahrscheinlich für viele zu schwierig, sehr vernetzte Raumgebilde zu zeugen. Das Stadtmöbel ist nichts Neues, aber ein zulässiger Denkansatz zum „Minimal Housing“.

Ästhetik ist Ausdruck scheinbarster Oberflächlichkeit. Das Wesenhafte des Dinges gilt es zu entdecken und der Zusammenhang zum Wesenhaften ist zu umspielen. Das Wesenhafte ist nicht zu benennen, sondern kann im Minimal Housing tänzerisch umschrieben werden. Die neuen Lebensformen sind urbane Gebilde, die in ihrer Vielfalt eine andere Stadt und ein anderes Leben ermöglichen. Die Erforschung der seelischen und psychischen Körperhülle führt uns unmittelbar zum ?Minimal Housing?.

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