Architektur erfahren durch Zeichnen
Der Architektin kam es vor allem darauf an, über bewusstes Sehen die Wahrnehmung für gebaute Räume und ihre Qualitäten zu schulen.
Als Lehrer waren mir folgende Fragestellungen wichtig: Mit welchen Hilfen und Anregungen können Schüler komplexe räumliche Bezüge zeichnerisch bewältigen? Über welche Zugänge gelingt es, ihnen Qualitäten von raumbildenden Grundformen zu erschließen?
Die Aufgabenstellungen zielten darauf, an historischen Bauwerken das Gefühl für ausgewogene Proportionen zu schulen. Zur zeichnerischen Bewältigung sind Grundkenntnisse der räumlichen Darstellung wie Risse, Parallel- und Fluchtpunktperspektive sowie ein entwickeltes räumliches Vorstellungsvermögen Voraussetzung.

Um eine gemeinsame Ausgangsbasis zu schaffen, wurden zunächst Grundlagen perspektivischer Darstellung wiederholt und begriffliche Klärungen vorgenommen (Frosch-, Vogelperspektive, Fluchtpunkt, Augenhöhe). Die Einführung in der Schule begann mit Tafelskizzen der Architektin, welche die Schüler nachzeichneten. Ausblicke aus dem Fenster oder ein Stillleben, isoliert mit einem Motivsucher, boten dann erste Gelegenheiten, Raumsituationen perspektivisch festzuhalten. Dabei ging es darum, das Messen und Umsetzen in die Zeichnung an leicht überschaubaren Vorgaben anzuwenden.

Beim Beobachten und Zeichnen im Stadtraum standen die Wahl des Ausschnitts, das Schauen und Kontrollieren durch Messen, das Beachten von Beziehungen und die Reduktion auf raumbildende Grundformen im Mittelpunkt. Bei diesen Studien arbeiteten die Schüler an ausgewählten Orten zunächst auf Arbeitsblättern im Format A4 und A3. Ein anschauliches Informationsblatt mit praktischen Hinweisen diente als Unterstützung. Im Hochformat waren auf den Blättern Rahmen vorgegeben, in welche kleine Ausschnitte skizziert wurden. Diese Beschränkung sollte die Reduktion auf wesentliche Formen und Zusammenhänge erleichtern. Durch Einzelkorrekturen erhielten die Schüler individuelle Hilfestellungen.

In einer Schlussbesprechung wurden alle entstandenen Blätter aufgelegt und Erfahrungen beim Zeichnen und in der Wahrnehmung ausgetauscht. Dabei erkannten die Schüler, dass durch die Wahl des Ausschnitts, durch das Festlegen der Augenhöhe (sitzend oder stehend) und der Fluchtpunkte Vorentscheidungen der Komposition getroffen werden. Die Aufgabe, räumliche Bezüge auf der Fläche zu organisieren, wesentliche Körper, Formen und Proportionen von unwesentlichem Beiwerk unterscheiden zu lernen, stellte eine herausfordernde Schule der Beobachtung dar.

Die zunächst als trocken empfundenen Übungen in der Klasse erwiesen sich beim Zeichen in der Stadt als hilfreiche Vorbereitung. Der Zusammenhang von Augenhöhe und Perspektive sowie die starke Verzerrung bei geringem Abstand zu den Gebäuden stellten die größten Herausforderungen dar. Oft wurde die Standpunktwahl von den Schülern zu wenig überlegt getroffen. Hier sollten Kriterien zur Auswahl angeboten werden. Damit bei den Korrekturgesprächen alle Schüler zum Zug kommen, ist es sinnvoll, dass sich beim Zeichnen kleinere Gruppen bilden, mit denen man dann gemeinsam aufgetauchte Fragen besprechen kann.
In einem weiterführenden nächsten Schritt kann auf die Vorgabe von kleinen Rahmen verzichtet werden. Mit der Verwendung von Zeichenblättern im Format DIN A3 und dem größeren Ausschnitt steigt auch der Schwierigkeitsgrad.
Die bisher gesammelten Erfahrungen können dann auf einen komplexeren Zusammenhang angewendet werden. Dieser Transfer bietet Gelegenheit, das Gelernte selbständig anzuwenden und weiter zu entwickeln. Je nach räumlicher Vorstellungskraft und zeichnerischem Geschick werden die Schüler die Aufgabe als Herausforderung auffassen und ihren Möglichkeiten entsprechend lösen.
Eine abschließende Präsentation in der Schulgalerie oder in einem geeigneten Ausstellungsraum im Ort könnte auch den Anlass dafür bieten, einen Architekten einzuladen, der anhand der Zeichnungen zu Lebensqualität und Architektur spricht.

Kann ich dieses Thema als Lehrer denn nicht auch alleine – ohne Architekt – behandeln? Dann fehlt der besondere Zugang, den der Fachmann/die Fachfrau einbringt. Aus dieser Sicht wird Architektur für die Schüler in einem anderen Zusammenhang erfahrbar. Im Begehen der Orte, im Austausch über die Zeichnung und im Sprechen über Qualitäten von Räumen wird so deutlich, dass Wissen über Architektur mit unmittelbarer Erfahrung zu tun hat.

Eine Variante dazu stellte das Projekt Architektur erfahren durch Fotografieren dar. 4. Kl. (20 SchülerInnen), Bildnerische Erziehung, Volksschule St. Andrä, Salzburg, Regina Öschlberger/Architektin), Eva Löchli (Lehrerin)
Thema: wie beim vorher besprochenen Projekt.
Zeitrahmen: Mai 1997, sonst wie oben.
Material: Bleistift, Motivsucher, Zeichenblätter, Arbeitsblätter, Fotoapparat

Nach zwei Einheiten mit praktischen Zeichenübungen in der Klasse ging es der Architektin vor allem um die Klärung von Augenhöhe und Maßstab. Beim Fotografieren sollte die optische Täuschbarkeit im Mittelpunkt stehen.
Entwicklungsbedingt bedurfte es beim Zeichnen eingehender Erklärungen, um die Problematik für die Schüler durchschaubar zu machen.
Aufgrund organisatorischer Probleme konnte der fotografische Teil nicht durchgeführt werden. Vom Konzept her kann der Ablauf wie beim Zeichnen übernommen werden.
Digitale Fotografie und Bildbearbeitung bieten gegenüber der traditionellen Technik durch die Möglichkeit von Veränderungen Anlässe, über die Wirkung von Architektur zu sprechen.
Nach entsprechender Vorbereitung und der Entwicklung eines Drehbuches kann das Thema auch Gegenstand eines Videos werden.

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