Für den Architekten stellt das Thema „Raum“ den Kern dieser Disziplin und eine der komplexesten Aufgabenstellungen in der Architekturvermittlung dar. Raum kann nie für sich isoliert betrachtet werden, sondern steht in einer Wechselwirkung mit sinnlichen Wahrnehmungen. Raum soll so verstanden werden, wie er z.B. beim Lesen eines Buches erlebt wird. Er baut sich über einen gewissen Zeitraum auf, wirkt unmittelbar, verschwindet wieder und tritt beim nächsten Mal aus der Erinnerung verändert auf. Raum ist nicht immer gleich. Er verändert sich durch Sonnenlicht, Regen, Wolken, Dunkelheit, Wärme oder Kälte, durch die Anzahl der auftretenden Akteure, durch den Betrachtungszeitraum in der Erinnerung und dessen Abgrenzung, durch Ereignisse, den Wechsel der Jahreszeiten und durch die momentane Befindlichkeit. Raum ist nicht nur der gebaute Raum, sondern auch Umraum, Landschaftsraum, atmosphärischer Raum und Raum der eigenen Vorstellungskraft. Deshalb geht es in diesem Projekt darum, die subjektive Sicht von Raum erfahrbar zu machen.
Aus der Sicht der Lehrer stand bei den Vierzehnjährigen der Wunsch im Vordergrund, mit dem Erfinden eigener Räume spurenhafte Zeichen menschlicher Befindlichkeiten in die Schule zu implantieren. Individuelle Räume und Raumvorstellungen sollten als Installationen/Projektionen Beziehungen zu räumlichen Situationen im Schulhaus aufnehmen. Zeitdruck reduzierte dieses Vorhaben auf die Modellstufe ohne Bezug zum Schulgebäude. Arbeit mit Notizblock, Fotoapparat und in Bibliotheken sollten die Auseinandersetzung auch außerhalb der Unterrichtsstunden fördern. Die Motivation, sich in der Freizeit mit diesem Thema auseinanderzusetzen, war jedoch beim Großteil der Schüler eher gering. Vielleicht waren die Aufgabenstellungen zu wenig konkret.
Für die Achtzehnjährigen boten die Herausforderung zu überdurchschnittlichem Einsatz und Selbstverantwortung und die intensive Einzelbetreuung durch den Fachmann von außen eine Akzentsetzung, die für den Lehrer als Moderator und Motivator gewinnbringende Erfahrungen ermöglichte.
Die Annäherung ans Thema erfolgte zunächst in einer sprachlichen Reflexion über das Verhältnis von Raum und den menschlichen Sinnen. Die SchülerInnen ordneten jedem Gegensatzpaar (z.B. eng – weit) die jeweiligen Sinneseindrücke (hier: Sehsinn) zu. Darüber hinaus wurde der Raumbegriff vom Innenraum in den Außenraum und in den atmosphärischen Raum erweitert. Diese Begriffspaare bildeten auch die Ausgangspunkte für individuelle Auseinandersetzungen mit einem selbst gewählten Thema.

Der Stadtspaziergang konnte beim ersten Projekt aus Termingründen nicht durchgeführt werden. Mit Analyseaufgaben auf einem Protokollblatt hielten die Schüler des zweiten Projekts ihre Beobachtungen fest. Neben der klassischen Sicht (Proportionen, Übergänge, Horizontale, Vertikale, Schichtung, Zentrum, Hierarchie, Fassade, Wegführung) ging es dabei darum, einen erweiterten Raumbegriff (Veränderung durch Licht und Schatten, Bezüge zu Himmel, Natur, Menschen, Geräuschen) unmittelbar erfahrbar zu machen.

Die Aufgabenstellungen für den Projektbericht:
• Warum interessiert dich dieses Thema?
• Beschreibe die Veränderungen deines Projekts, die wesentlichen Inhalte, deine Erfahrungen.
• Verfasse ein leidenschafliches Manifest zu deinem Thema.

Raum – Analysen Salzburg:
Wo sind in der Stadt Salzburg ähnliche räumliche Zustände feststellbar? Suche diese Orte auf, dokumentiere und analysiere sie. Beschreibe den Bezug zu deinem Projekt.
Literatur-Recherchen zum Thema „Raum“:
Gehe in die Bibliothek und suche nach Beispielen (auch aus anderen Kunstsparten), die deinem Projekt wesensverwandt sind.

Im Anschluss daran entwickelten die Schüler ihre eigenen Wertigkeiten und konkreten Vorstellungen zum Thema „Raum“ zu Modellen aus Wellpappe zu Themen wie eng – weit, hell – dunkel, laut – leise oder deren Kombinationen.
Anfangs ging es weniger um präzise Handwerklichkeit als vielmehr darum, spontan Raumempfindungen darzustellen, die Ansätze für weitere Diskussionen boten.
Die kreative Auseinandersetzung, die Darstellungskraft, die Eigenständigkeit der Schüler, das bleibende Interesse am Thema und die schriftliche Präzisierung sowie die Identifikation mit dem Thema stellten wesentlichen Momente in diesem Prozess dar, der vom Architekten mit individuellen Analyse- und Beratungsgesprächen für die Gestaltung begleitet wurde.
Die Dokumentation und Präsentation der Arbeiten in einer Ausstellung war ein wesentliches pädagogisches Instrument. Für die Gestaltung waren fünf Doppelstunden vorgesehen. Darüber hinaus konnte so ein zusätzlicher Diskussionsprozess von außen (z.B. über die Eltern) in die Arbeiten hineingetragen werden.
Aufgrund der relativ kurzen Zeit wurden den Schülern kleine Skizzenbücher zur Verfügung gestellt, damit sie einerseits den Prozess und andererseits auch eigene Raumwahrnehmungen in ihrer Freizeit dokumentieren. Diese Rückkoppelung war aufgrund des eher gestrafften Programms auch diesmal wieder spärlich.
Das Interesse der Schüler am Thema war anfangs sehr groß. Es nahm jedoch nach dem konzeptionellen Durchbruch ein wenig ab. Bei der Präzisierung der Modelle musste schon vom Pädagogen Überzeugungsarbeit geleistet werden. Das Thema der Ausstellung konnte jedoch die meisten zum Durchhalten motivieren. Es förderte insgesamt die Ernsthaftigkeit der Arbeit.

In der vierten Klasse erwies sich das Alter als Vorteil im kreativen Prozess. Wir waren überrascht von der Spontaneität und Qualität. Erfrischend, unbekümmert und ehrlich in ihrer Substanz, waren die Arbeiten in ihrer Aussagekraft überzeugend und mit Sorgfalt ausgeführt. Räumliches Wahrnehmen und Erleben erfuhr eine Intensivierung. In den kognitiv-analytischen Passagen ließen Motivation und Selbständigkeit deutlich nach.
Die individuelle Aufgabenstellung war manchen Schülern zu offen, ihnen böten klar formulierte Eingrenzungen Hilfen zur Entscheidung. Dass die zwei Betreuer unterschiedliche Meinungen und Anregungen gaben, führte bei einzelnen zu Orientierungsschwierigkeiten. Mit großem Einsatz waren alle bei der Vorbereitung der Ausstellung am Werk.

Das reifere Alter der Schüler aus den oberen Klassen bot Gelegenheit, fächerübergreifend auch philosophische, physikalische, psychologische und religiöse Ansätze zu diskutieren. Eine Doppelstunde wurde für eine persönliche Reflexion der Schüler vor der Klasse genutzt. Dabei zeigte sich, dass Architektur bei vielen als Ausdruckmittel der persönlichen Interessen diente.

Die Durchhaltekraft im Projektstadium, die Flexibilität in der Betrachtung der zum Teil gegensätzlichen eigenen Projektsansätze und die professionellen Ergebnisse lagen wesentlich über dem üblichen Niveau. Das war nur möglich durch das Wechselspiel zwischen einem Fachmann von außen und einem Lehrer, der die Schüler sehr gut kennt.
Projektkosten von öS 35.000.-, gefördert von Spänglerbank Salzburg, ÖKS, Kultur & Schule, Architektenkammer.

zum Textanfang