ANTON THIEL |
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AUSSTELLUNG Salzburger KunstvereinKünstlerhaus 1988 |
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DER PORNOGRAPHISCHE BLICK
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Konzeption und Organisation: Anton Thiel | |
Ausstellungsdauer: 7. Juni3. Juli 1988;
Vernissage: 7. Juni 1988 (Eröffnung durch GR Anita Pirker; Einführungsreferat Ludwig Laher; Musikperformance Arthur Zubic) |
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BEGLEITVERTANSTALTUNGEN 13. Juni: VHS Einführung zur Ausstellung (Anton Thiel) 17. Juni: Aspekte-Konzert 21. Juni: Richard Pertlwieser (Lesung) Verschämtes/Verklemmtes/Penetrantes 24. Juni: "Ohne Pause", ein Film von Erwin Puls 28. Juni: "Zur Standortbestimmung des Pornographischen" Podiumsdiskussion mit Michael Fischer, Peter Gorsen, Ulli Körbitz, Walter Seitter, Daniela Tugendhat 1. Juli: VHS-Liteeraturwerkstatt |
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Fotos: Rainer Iglar | |
Künstler präsentierte Arbeiten (Ausstellung):
Arnold Ruedi: Objekt (Baumstamm, geschnitten, Zufallsfund) |
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Der Katalog | |
Katalog-Design: Vision Creativ, Salzburg (Dieter Huber); Layout: Gottfreid Goiginger; Konzept: Anton Thiel Einband: Industriegummi auf Karton mit eingeklebter Messerklinge zum Aufschneiden der gefalteten Buchseiten. |
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Peter Turrini etwa nimmt einen Satz der österreichischen Fremdenverkehrswerbung zum Anlaß, näher darauf einzugehen, wie sich Österreich seinen vornehmlich bundesdeutschen Gästen gegenüber prostituiert. 'Wandern in Österreich', so dichtete die Fremdenverkehrswerbung, 'unterscheidet sich auch dadurch, daß Försterstochter Resi dem Biologiestudenten aus Göttingen gern die Abkürung durch den Wald zeigt, weil dadurch der Weg ein Viertelstündchen länger wird.' In Turrinis Siegel-Essay 'Die touristische Bananenrepublik' kommt Kurier-Kolumnist Sebastian Leitner hat gezählt das Wort Hure bzw. Hurerei dreizehnmal vor. Dieses Faktum ist Sebastian Leitner Anlaß genug, Turrini ohne Umschweife als 'Huren'-Schreiber zu bezeichnen und anzumerken: 'Er kann ganz einfach an nichts anderes denken als an Huren.' (Ludwig Laher)
rechts: Alfred Kubin: Mord, 1931, Federzeichnung laviert, 34x28 cm; Leihgabe Sammlung Graninger |
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Originalbeiträge (Katalog)
Thiel Anton: Der Spiegel, der Blick, das Gespräch; 1988 |
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Zitatenliste Gedankensplitter (Katalog):
Anderson, Laurie: O Superman. in: L. A.: United States; New York 1984 |
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Rückblick und Resümee (2021) | |
Die Ausstellung war für den Salzburger Kunstverein ein Besuchermagnet. Freilich ließen sich viele der Besucher von dem Attribut "pornographisch" durchaus täuschen und letztendlich von der Grundaussage der Arbeiten (nämlich jener der Verweigerung) auch enttäuschen. Natürlich waren einschlägige Bilder zu sehen (insbesondere das "Herrenzimmer" von Erwin Puls zeigte, was manch einer erwartete deswegen war der Raum auf Geheiß der Behörde auch für Besucher unter 18 Jahre gesperrt!), dennoch merkten man unvermittelt, wie sich der verstohlene, von geheimen Begierden getriebene Blick gegen den Betrachter selbst wendete. Das war unangenehm und irritierend, aber durchaus beabsichtigt. Das Konzept der Ausstellung war insgesamt auf der These aufgebaut, dass es so etwas wie den naiven, unverdorbenen, freien Blick in unserer Kultur aus den unteerschiedlichsten Gründen nicht mehr geben könne und somit alles unter dem Verdikt der Herrschaftsgeste sich zu verbiegen hatte.
Diese Beobachtung war nicht neu und von vielen kritischen Theoretikern benannt worden. Was mich allerdings aus heutiger Sicht mehr als nur verwundert, ist der Umstand, dass dieses Leiden an der gebrochenen Existenz (alles vermittelt sich bloß als falsche Wirklichkeit in marxistischer Diktion: der "entfremdete Mensch") so etwas wie eine Vorahnung, fast schon als eine vorweggenommene Diagnose unseres digitalen Bewusstseins verstanden werden kann. Die realen Dinge haben ihre Existenz verloren und sind in eine fiktive Welt simulierter Wirklichkeiten verschwunden. Das Kennzeichen dieses modernen Simulacrums besteht nach Baudrillard darin, dass die Unterscheidung zwischen Original und Kopie, Vorbild und Abbild, Realität und Imagination unmöglich geworden und einer allgemeinen „Referenzlosigkeit“ der Zeichen und Bilder gewichen ist. Was sich vormals als Verlust angekündigt hat, nehmen wir heute als vermeintliche Chance war oder reden uns ein, dass es sich um eine solche handele. Tatsächlich sind unsere analogen Wirklichkeiten zu simulierten verkommen und wir fühlen uns ganz luftig dabei. (Anton Thiel) |
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Erhellende/bestürzende Aktualität (2017) | |
1988 hatte ich Franz Kafkas "In der Strafkolonie" einer analytischen Visualisierung unterzogen. Die erschreckend visonäre Erzählung aus dem Jahr 1919, in welcher dem Strafgefangenen mittels einer Foltermaschine (Egge) seine Schuld in den Leib eingeschrieben wird, bis er qualvoll stirbt, schien mir ein besonders drastisches Beispiel für die Beschreibung eines "pornographischen Blicks": Die Einheit von Schrift und Tod, von Ekstase und nicht abwendbarer Vernichtung. Das (Justiz-)System, das sich als eine Art schicksalhafte Volstreckungsmacht versteht und rituell Schuld in den Körper des Gefolterten einschreibt, bis er qualvoll verendet, ist in meiner Arbeit "DEKAPITATION", ohne mir dessen bewusst zu sein, wieder Aufgetaucht: Die grauenhafte Geschichte von der Exekution der Kriegsgefangenen in Doboj/Jugoslawien 1945: Laut Überlieferung wurden dort 300 Menschen bis zum Kopf in die Erde einbgegraben und mit einer Egge hingerichtet. | |
Anton Thiel: Visualisierung von Franz Kafkas "In der Strafkolonie" (die Bilder können einzeln betrachtet werden, waren jedoch in der Ausstellung als großes Tableau präsentiert. Diese Betrachtungsweise verhindert lineares Leseverhalten und fördert die Möglichkeit, Querverbindungen herzustellen.) | |