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Drei Bilder, die mit der Nacht zu tun haben, drei Arbeiten von Künstlern, die Bedrohung, Unsicherheit, Veränderung und die damit zusammenhängende Ängsten thematisieren, drei Botschaften aus verschiedenen Zeiten an uns Betrachter, sich den den drängenden Problemen, seien sie jetzt auf einer allgemein gesellschaftlich politischen oder auf einer psychisch persönlichen Ebene angesiedelt, zu stellen.
Adam Elsheimer führt uns eine Szene vor Augen, die ein wenig durch das Ritual religiöser Routine verharmlost erscheint: Eine Jungfamilie flieht vor der Willkürherrschaft eines Potentaten, der seine Regentschaft von Kleinkindern gefährdet sieht, in ein fremdes Land. Ein Vorgang, der auch im 21. Jhd. ständig die Zeitungskolumnen zu füllen vermag (wenn es gerade opportun ist, darüber zu berichten). Die christliche Religion hat nun in äußerst radikaler Konsequenz diese Vorgänge der Bedrohung, Erniedrigung und Auslöschung zur Basis der Geschichte ihres Ursprungs gewählt und setzt als Überwindung dieser (Lebens-)Gefahren das Prinzip Hoffnung entgegen.
Interessant ist nun, was der Künstler Elsheimer daraus macht. In der Mitte sehen wir die flüchtende Familie vor einem extrem dunklen, bedrohlich wirkenden Hintergrund; ihre vertrauliche Gesten vermögen nur mit Mühe das Grauen und Entsetzen abzuwehren. Der Weg führte sie an einem Gewässer vorbei, in dem sich der Vollmond spiegelt. Es handelt sich hier keineswegs um eine romantisch liebliche Vollmondszene, wie wir sie etwa von Eichendorff oder Lenau kennen, mehr schon um eine Metapher schwankender Lichteffekte. Das kalte Lichte des Mondes und seine trügerische Reflexion in schwierigem Gelände. Es mag schon seine Berechtigung haben, wenn Kunsthistoriker auf das in dieser Zeit erwachte Interesse wissenschaftlicher Betrachtung von kosmischen Erscheinungen und Gesetzmäßigkeiten verweisen fragt man allerdings Flüchtlinge, wie sie es geschafft hätten, illegal schwer gesicherte Grenzen zu überschreiten, dann erzählen sie von den Chancen mondloser Nächte.
Der Weg der Jungfamilie mit Kind und Fortbewegungsmittel führt sie nun weg aus der freien Landschaft mit Mond und Sternenhimmel hinein in den dichten Wald zu einer weiteren Lichtquelle, die in einer gewissen Weise vertraulicher wirkt. Bereits zum Geburtstermin hatten jene, die sich nomadisierend um das Vieh kümmerten, Verständnis und Einsicht für die Einzigartigkeit des geschilderten Vorgangs gezeigt, auch hier wieder scheinen sie mit ihrem wärmenden Feuer zum vorübergehenden Bezugspunkt auf der Flucht zu werden. Drei Phasen einer Geschichte, die als Lichtquellen formuliert sind und die Begriffe "Heimat" und "Fremde" auf das Nachhaltigste diskutieren.
Van Gogh zeigt uns eine Landschaft, die wir expressionistisch missverstehen könnten, sozusagen als Projektionsfolie einer überhitzten Fantasie und kranken Geistes. Wir können auch das Yin-Yan-Symbol in die zentrale Himmelsturbulenz hineininterpretieren und mit einigem Geschick C. G. Jungs Archetypenlehre darauf anwenden. Wir können aber auch den wissenschaftlichen Spekulationen mancher Astronomen Glauben schenken, die eine überraschende Entsprechung mit den kosmischen Phänomen und Erkenntnissen um 1880 festzustellen glauben. Wie immer wir den Schwerpunkt unserer Betrachtung auch legen wollen, wir kommen nicht um die persönliche Situation van Goghs herum. Vergegenwärtigen wir uns folgende Situation: Künstlerischer Einzelgänger aus Holland mit intensiv religiösem Hintergrund scheitert mit seinen Vorstellungen von "wahrhafter Kunst", lernt im Süden Frankreichs die Intensität des Lichts kennen und endet mit heftigen Wahnvorstellungen und epilleptischen Anfällen in einer Psychiatrie. Ob diese Geisteskrankheit eine Folge seines ungesunden Lebens (z. B. Absinthgenuss), vererbt und oder mit den persönlichen Kränkungen und dem Gefühl des Versagers zu tun hatte (er war von den Zuwendungen seines Bruders abhängig), ist nicht zu klären, soll auch hier nicht interessieren. Beim Betrachten des Bildes fällt allerdings der extreme Rauschzustand auf, der einerseits durch die schwingenden Formen, andererseits durch die markant gesetzten Pinselstriche hervorgerufen wird. Hier wirkt alles so als würde es einem entgleiten, sich auflösen, ins Fremde verströmen, das rechte Auge erfasst gerade noch das Schauspiel, während dem linken das Blickfeld weggeschnitten ist. Die dunkle Cypresse schlängelt wie eine kalte Flamme gen Himmel und mutiert zum Schatten des eigenen Nasenbeins. Das Ich sinkt in die Tiefen des Schädels zurück wie ein verschreckter Einsiedlerkrebs, geblendet von den gleißenden Lichtern der Nacht. Stechender Schmerz.
Mazen Kerbajs Heimatstadt ist Beirut. Nun, wir haben über den Krieg in diesem Land in den Zeitungen gelesen, wir wurden belehrt und haben Stellung genommen. Am Frühstückstisch, im Lehnstuhl vor dem Fernsehgerät und selten doch im Ehebett. Dass nun jemand, der diesen Mist selbst miterleben musste, seine Angst via Internet frei Haus liefert, überrascht, will nicht so recht ins Bild passen, ist unangenehm. Jeden Tag eine zynische, ärgerliche, empörte, auf jeden Fall aus der unmittelbaren Bedrohung entstandene Karikatur zugeschickt zu bekommen, irritiert. Warum schweigt er nicht und zieht den Kopf ein, wenn ihm die Fetzen um die Ohren fliegen? Warum läuft er nicht davon, damit ihm nichts passiert? Und was den Gipfel der Unverfrohrenheit dieses Künstlers (in unserem saturierten Sinne selbstgenügsamer Ästhetik) auszumachen scheint, er stellt sich hin, lauscht den Kriegsgeräuschen und reagiert auf diese mit seinem eigenwilligen Blasegeräuschen. Er tritt gleichsam über seine Trompete mit dem unsichtbaren aber um so besser hörbaren Feind in einen Dialog ein. Seine Stimme ist schwach und zitternd und hält den Detonationen nur ein schwach hingehauchtes Tremolo entgegen, aber durch die Live-Übertragung seiner Performance ist diese Stimme auf der ganzen Welt hörbar. Der zarte Ton aus der Heimat des Künstlers in den Wohnzimmern der Fremde als Friedensbotschaft. (A. Thiel)
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