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1. Schularbeit, 19. November 2004, Dauer: 2 Stunden
1. Thema: Werbung - Benetton

1.Thema
Benetton Plakat 1992: Der sterbende Aidskranke David Kirby mit seinen Eltern am Totenbett;
Foto: Therésé Frare, Konzeption: Oliviero Toscani

Analysiere das Plakat nach Form und Inhalt (entdecke auch kunst-/kulturhistorische Anspielungen) und diskutiere die Plakataussage vor dem Hintergrund traditioneller Werbestrategien.

Mascha Asslborn

Um die Aussagekraft Toscanis Werbung in Form und Inhalt besser verdeutlichen zu können, möchte ich mit der Analyse des Bildes nach traditionellen Werbestrategien beginnen.
Gehe ich hier nach der „Copystrategie“ vor, so stellt sich mir als erstes die Frage nach der Positionierung. Auf welche Weise wollte Toscani Benettons Produkte in unseren Köpfen positionieren? Was unterscheidet die Benettonhose von anderen? Es ist die Kritik an unserer Gesellschaft bzw. die dadurch ausgelösten Diskussionen, die die Hose sozialkritisch werden lassen. Es wird suggeriert das mit dem kauf bzw. dem tragen des Kleidungsstücks dem Konsumenten eine neue Identität verschafft wird. „Jetzt bin ich sozialkritisch!“
Aids war zu der Zeit, als das Plakat veröffentlicht wurde, ein tabuisiertes Thema.
Gibt einem da das Tragen eines Kleidungsstücks dieser Gesellschafts-Konventionen-brechenden Werbung nicht das völlig neue Lebensgefühl des Vorreiters und provokativem Individuums?
Damit wäre auch schon der zweite Punkt der Copystrategie geklärt. Die Produktpersönlichkeit verschafft einen Art von kritischer Selbstpräsentation. Wir gehen weiter zum Produktversprechen, das hier vollkommen fehlt. Kein Werbeslogan, keine rationale Argumentation, die uns von Benettons Produkten überzeugen soll, keine Beweisführung der Argumente durch z.b. Schauspieler, die uns zeigen, dass der Konsum des Beworbenen glücklich macht, sexuelle Ausstrahlung verschafft oder den Kontakt mit jungen, hübschen Menschen verspricht. Ganz im Gegenteil! Toscani durchbricht hier eine Grundform der Werbestrategie: das Vorgaukeln einer heilen Welt! Ist es normalerweise die Eigenschaft von Werbung, und mit ihrer aufregenden, schillernden, dramatischen Erscheinung eine Art Gegenpol zu unserem tristen, monotonen, ritualisierten und farblosen Alltagsleben zu liefern, so finden wir hier auf diesem Bild weder physische Reize, wie leuchtende Farben und formen, noch emotionale Reize, wie menschen- und Tierkinder oder Erotik oder gedanklich überraschende reize wie es z.b. im Bereich des sensualen Appells üblich wäre. Formen von Tonalität, also wie an den potentiellen Kunden appelliert wird bzw. welches Gefühl hervorgerufen werden soll, scheinen hier zu fehlen. Kein rationaler Appell dessen Hauptargument auf der Qualität oder der Beschreibung des Produkts liegt oder gar die Demonstration desselben, denn hier fehlt das Produkt selbst. „United Colors of Benetton“ könnte ebenso eine Art ethnisch ausgerichtete “Green Peace“ Organisation sein, wüsste man nicht, dass es sich um eine Textil Industrie aus Italien handelt, deren Aufstieg aufgrund einer neuen Färbetechnik möglich war. Benetton, zu Anfang ein sehr kleines Unternehmen lagerte keine fertig gefärbten Produkte sondern produzierte alles in Naturweiß und färbte der Nachfrage entsprechend ein. Somit war eine Flexibilität auf Marktschwankungen gegeben.
Schnell jedoch begannen sie sich über die Grenzen Italiens hinaus zu bewegen und sind heute international vertreten. Der Name jedoch allein schon verweist auf die sogenannte „corporate identity“ der Firma. Nach außen möchte sie zur Vereinigung (United) in allen ethnischen bereichen (z.b. Hautfarbe, Nationalität, Kultur etc.) aufrufen, wobei der Name stark an „United States of Amerika“ und „United Nations“ erinnert. „Colors dürfte in der Bedeutung klar sein. Die für Benetton typischen hellen, leuchtenden Regenbogenfarben tauchen in den Produkten immer auf. Im Mittelalter galt der Regenbogen als Symbol der Transzendez und des Hinübergleitens von einer Sphäre in die Nächste.
Benetton präsentiert sich normalerweise in posierten, farbenfrohen vor weißem Hintergrund, der als Projektionsfläche für Wünsche und zur Steigerung der Bedeutsamkeit der Figur selbst beiträgt. Das Posen im Stil der Renaissance mit einer ideallandschaft im hintergrund werden von Benetton Plakaten adaptiert, wobei die Ideallandschaft von der Projektionsfläche ersetzt wird.
Ganz im Sinne des Testimonials, einer Grundform der Werbung und dominant zu Beginn des 20.Jahrhunderts, bzw. des „Laien-Testimomials“ in dem ein durchschnittlicher Mensch glücklich Benetton Produkte vorführt. Seine Zeugenaussage steigert die Glaubwürdigkeit des Produkts.
Aus diesem Muster bricht Toscani aus, keine farbenfrohen Kleidungsstücke, kein reinweißer Hintergrund, ja nicht einmal glückliche Gesichter. Am ehesten trifft die Appellform der Verunsicherung zu, die sich jedoch seit den 40 ern auf dem absteigenden Ast befindet, da neue Lern-Psychologische Erkenntnisse belegten, dass durch kontinuierliche negative Wiederholung negative Suggestionen an ein Objekt gekoppelt werden.
Wie die z.b. beim Pawlowschen Hund bewiesene Konditionierung. Bei Benetton jedoch wird eher eine Welle der Diskussion als der negativen Gefühles ausgelöst. Das verschafft zusätzliche, kostenlose Werbung. „Benetton Gegner“ klagen die Firma an mit den Mitleidsgefühlen der Menschen Profit zu machen zu wollen, sowie gegen den (kaum definierten) Rechtsbegriff der „Guten Sitte“ zu verstoßen. Der deutsche und österreichische Werberat, der sich als freiwillige, interne Kontrollinstanz und Schlichtungsstelle bei Konflikten zwischen Wirtschaft und Gesellschaft sieht, sanktionierte diese Werbung.
Doch um wieder auf den Ausgangspunkt dieser Ausführung zurück zu kommen, möchte ich nun etwas näher auf die Aussage der gezeigten Szene eingehen. Das Bild zeigt den Aidskranken David Kirby mit seiner verzweifelten Familie. Die typischen Werbemuster (bunte Farben, Fröhlichkeit, weißer Hintergrund) fehlen hier und werden Trauer und verwaschene Farben ersetzt. Hier scheint sich Kunstphotographie mit journalistischen Elementen zu vermischen. Es könnte sich hier genauso gut um ein in der Zeitung erschienenes Bild handeln. Die Szene erinnert stark an die Grablegeung Christi (?). Über dem Kopf des Vaters und in Folge dessen auch des Sohnes hängt ein Bild, von dem wir nur die von sakralem Licht umgebenen Hände erkennen können. Sie scheinen sich einladend dem sterbendem entgegen zu strecken. Ähnlich wie Christus Aufnahme in den Himmel, scheint sich David Kirby vor den Augen seiner Familie im transitorischen Moment des Hinübergleitens zwischen Dies- und Jenseits zu befinden. Wie bereits erwähnt war noch zu dieser Zeit Aids und dessen Folgen ein absolutes Tabuthema und es mit einer solch schokierenden Emotionalität der Öffenlichkeit zu präsentieren war eine werbstrategische und sozialkritische Leistung Toscanis. Die Absicht der Werbung ist es, das Produkt über seinen reinen Wahrenwert zu erheben und es zu einer Art sakralem Gegenstand zu erklären. Mit dem Konsum/Erwerb des Beworbenen wird dem Konsumenten eine Art „magische Kraft“ oder Talisman (nach M. Heuerman) versprochen. Die Aufgabe der Kunst ist es sozialkritisch zu sein, gesellschaftliche Konventionen zu durchbrechen und tabuisierte Themata aufzugreifen. Toscani ist es gelungen beides zu miteinander verbinden. Werbung wie wir sie heute kennen ist das Produkt der industriellen Massenproduktion. Wir sind rund um die Uhr von ihr umgeben. Durch diese ständige Reiz überflutung muss Werbung auf Aufmerksamkeit heischende Mittel zurückgreifen. Grelle Farben oder Fernsehwerbung dienen ihr als Kommunikationsmittel.
Toscani verzichtet auf beides und scgaft es trotz alledem kontinuierlich Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen bzw. aus sein Produkt.