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BE e-learning 7a/e 2003/04 Mittelalter zurück 2003/04 BEH A. Thiel
a.thiel@salzburg.at
4. Schularbeit, 4. Juni 2004, Dauer: 2 Stunden
Mittelalter - Architektur - Salzburg

2. Thema (St. Peter)3. Thema (Stift Nonnberg)

1. Thema - die Franziskanerkirche (Beispiel - A. Thiel)

Wir hatten uns an der Ecke Siegmund Haffner Gasse und Franziskanergasse verabredet. Ich selbst kam die Hofstallgasse entlang, dort, wo im Mittelalter der "Frauengarten" für die autonome Versorgung der Stadt (eigentlich St. Peter) mit Lebensmittel diente Richtung Dom, der, der urspünglich vom iro-schottischen Missionar Virgil errichtet worden war, aber bereits 845 niedergebrannte, dessen Nachfolgerbau (Hartwigdom) 1167 niedergebrannt wurde und der letzte mittelalterlich romanische Dom, den Erzbischof Konrad II errichten ließ, zu den größten Bauten seiner Art nördlich der Alpen zählte, aber dem jetzigen, von italienischen Baumeister Santino Solari im frühbarocken Stil errichten (1614 - 1628) weichen musste – und sah ihn schon von weitem die Siegmund Haffner Gasse heraufschlendern. Im Hintergrund den alten Ratzhausturm, jenes Zeichen der selbstbewusst werdenden bürgerlichen Stadt im späten Mittelalter, wo sich freie Bürger gewisse Rechte der Mitbestimmung und bürgerlichen Selbstverwaltung gegen die übermächtigen Fürsterzbischöfe ertrotzt hatten und, wie es auch im Mittelalter nicht anders üblich war, mit teurem Geld erkauft hatten. Diese Euphorie der wachsenden Autonomie einer städtischen Bürgerschaft hatte unter dem Erzbischof Leonhard von Keutschach ihr jähes Ende gefunden, der den Stadtrat einfach gefangen setzen ließ, nach Radstadt verfrachtete, wo sie auf ihre Rechte verzichten mussten. Das Denkmal dieses resoluten, die Gunst der politischen Entwicklung um 1500 ausnützenden Herrschers sieht man an der Außenwand der Georgikirche auf der Festung Hohensalzburg, die er (nicht zuletzt zu seinem Schutze) kräftig ausbauen ließ.

Als mein Freund vor dem Westportal der Franziskanerkirche angelangt war und wir uns herzlich begrüßt hatten, äußerte er sofort sein Erstaunen über die barocke Verbauung der Nordflanke der mittelalterlichen Franziskanerkirche.
"Die monumental wirkenden Kolossalpilaster mit ihren korinthischen Kapitelen nachempfundenen Abschlüssen sind aus einer Zeit, als die fürsterzbischöflichen Herrscher in Salzburg ihre Residenz auf Grund gestiegenem Repräsnetationsbedürfnisses tief in den ursprünglich bürgerlichen Stadtteil ausdehnten und an die Bürgerkirche gleichsam andockten. Wolf Dietrich, auf den die umgestaltung der mittelalterlichen Stadt in eine Renaissancemetropole zurückgeht, konnte trockenen Fußes von seinen Gemächern in die Franziskanerkirche gehen, wo er (in ermangelung eines Domes - den Konraddom hatte er wegen eines Brandes abreißen lassen und wälzte großstädtische Pläne, erkannte nämlich Rom aus seiner Studienzeit) sich ein Oriatium bauen ließ, um sich nicht unter den Pöbel mischen zu müssen, vielleicht aber auch nur, um es bequemer zu haben."
"Diese Westfassade der Kirche scheint mir ebenso unpassend und später hinzugefügt worden zu sein." fügte er skeptisch hinzu.
"So versucht eben jede Zeit in irgendeiner Weise - je nach Vorstellung und Kenntnis - an dem Altbestand herumzudoktern. Im Zuge einer generellen Barockisierung der Stadt seit dem 17. Jahrhundert hat man die alte Westfassade der hochromanischen Kirche als nicht mehr passend und angemessen empfunden und einfach eine barocke Front hochgezogen, deren Bedeutung jedoch eher in der Fernwirkung erschließt, vor allem das am Giebel angebrachte Marienfresko, das auf die eigentliche Widmung der Kirche hinweist: >Kirche unserer lieben Frau< lässt noch erahnen, welche Bedeutung die Marienmystik im Spätmittelalter in Europa gespielt hat. Das hat auch den Gestalter des barocken Altares (den Architekten Fischer von Erlach) davon abgehalten, die Marienstatue des berühmten Michael Pacher-Altares einfach wegzuschmeißen. Aber davon später."
"Das sichtlich altre Portal wirkt ziemlich flach und zurückgenommen", fügte er kritisch hinzu.
"Richtig! Dies ist auch eine der Merkwürdigkeiten, wenn spätere Stilepochen sich in alten Baubestand einmischen. Das Gewändeportal mit den Halbsäulen wurde einfach abgeflacht, um eine einheitliche Wirkung der Fassade zu erzielen, für ein monumentales Barockportal hat wahrscheinlich das Geld gefehlt oder man fand es nicht wert, hier eines aufzuführen, weil dessen Wirkung infolge der Enge der Gasse nicht entsprechend gewesen wäre."
"Gibt es auch die Denkvariante >Rücksichtnahme gegenüber alter Bausubstanz<?
"Leider sind es meist Zufälle, die die Ignoranz der Besserwisser als geglückte Momente in die Geschichte eingehen lassen. So ist an der Basis der Säulen eine Schwurhand stehen geblieben."
"Ist dies eine Begrüßungsgeste oder eine segnende Hand, wie ich sie auf vielen Darstellungen von Heiligen oder katholischen Würdenträgern gesehen habe?"
"Wohl kaum. Die Bedeutung ist unter Fachleuten eher umstritten. Die einen sagen, dass die vielen hier beschäftigten Handwerker, die im Mittelalter am Gewerk (also an der Baustelle) in einer Bauhütte organisiert waren, schwören mussten, die nur mündlichen überlieferten Kenntnisse nicht weiter zu verraten, eine Art mittelalterlicher Copy-Right-Schutz. Besser gefällt mir jedoch die Bedeutung, dass bestimmte mittelalterliche Kirchen das Asylrecht hatten, dass also derjenige, der sich unter die Obhut der in dieser Kirche verehrten Madonna begab, von der weltlichen Behörde nicht weiter verfolgt werden durfte."
"War diese Zeit denn so rechtlos?"
"Nicht unbedingt, es gab verbriefte Rechte, wie etwa den >Sühnebrief< aus dem späten 13. Jahrhundert, der bereits die Rechte und Pflichten der Salzburger Bürgerschaft klar auflistete und es gab Gerichtsbarkeiten, in denen man seine Rechte einklagen konnte. In der klar definierten Standespyramide des Mittelalters mit seinem Lehensrecht hatte natürlich jeder seinen klar zugeordneten Platz, obwohl das System in sich wertekonservativ, d.h. als von Gottes Gnaden eingesetzt empfunden wurde, waren politische und soziale Umwälzungen an der Tagesordnung. Als Kaiser Friedrich II mit Papst Alexander wegen des Investiturstreites in Hader lag und Erzbischof Konrad sich auf die Päpstliche Seite schlug, ließ der Kaiser die Stadt Salzburg ächten und die Grafen von Plain nützten die Gelegenheit, dem Erzbischof eins auszuwischen und sie brannten 1167 einfach die Stadt nieder. Das hochromanische Langhaus der Franziskanerkirche entstand beim Wiederaufbau in friedlicheren Zeiten.."
"Wollen wir hineingehen und den Bau von Innen betrachten. Vielleicht erschließen sich dadurch weitere Zusammenhänge."
Dem überraschenden Eindruck des doch sehr kontrastierenden Raumgefüges kann sich kaum jemand entziehen. Kaum treten auch sonst wo die typologischen Unterschiede zwischen Romanik und Gotik wie hier. Das dunkle, von massiven gedrungenen Pfeilern getragene Mittelschiff des Langhauses weitet sich jeh zu einem hellen, leicht wirkenden, fast schwebenden Hallenchor, dessen fünf schlanke Mittelpfeiler sich zu einem zarten Netzrippengewölbe in luftiger Höhe vereinen. Die drei additiv aneinandergereihten Joche des romanischen Langhauses werden von schmalen Gurten gegliedert und das Gewölbe des Mittelschiffes läßt bereits jene Kreuzrippenkonstruktion erahnen, die für die Skelettbauweise der Gotik konstruktiv entscheidend ist. Simple Kreuzgrate zeigen sich im Gewölbe der Seitenschiffe und verspielte Blattornamente mit symbolischen Figuren schmücken die Kapitelle der Pfeiler.
"Warum liegt dieser Bau nicht in der Achse?" bemerkte mein Begleiter erstaunt. "Kann es sein, dass sich ändernde Bauumstände, nachdem der Chorteil ja sichtlich später dazugekommen ist, dazu geführt haben, dass die Baumeister die Symmetrieachse nicht einhalten konnten?" Er neigte skeptisch prüfend seinen Kopf zur Seite und nahm damit unwillkürlich die Antwort vorweg.
"Sie das Kreuz an der linken Seite des Triumpfbogens, es zeigt einen gotisch leidenden Christus, dessen Haupt sterbend zur Seite fällt. Den gotischen Baumeistern war es oft ein Anliegen, solche Beobachtungen sinnbildhaft in ihren Bau einfließen zu lassen. So zeigt der Grundriss nicht symbolisch, denn das wäre verweisend und für einen mittelalterlichen Menschen zu distanziert gedacht, sondern anagogisch die Passion: sie wird gegenwärtig in der Gestalt des Baus. Die Darstellung des Gekreuzigten in der Romanik ist immer erhaben und triumphierend, nie leidend. Bisweilen trägt Christus die Krone statt der Dornen. Sie zeigen keinen Affekt (ich meine hier die compassio, also den mystischen Nachvollzug der Leidensgeschichte), sondern die Gewissheit. Ihre Vorstellungen sind noch von einer Ruhe und Nachhaltigkeit gekennzeichnet, die später zu Gunsten einer fast ästhetisierenden Dramatik aufgegeben wird. Aber wenden wir uns doch in das rechte hintere Eck des Seitenschiffes. Seitlich unter dem Antoniusaltar (ein Werk der Neogotik, also jener Zeit, die versuchte historisierend die ursprüngliche Gestalt der Kirche wieder herzustellen) siehst du einen unscheinbaren Grabstein."
Die im roten Marmorstein erkennbare Untialinschrift beeindruckte meinen Freund und er schloss, dass es sich hier um einen äußerst alten Epitaph handeln musste. Da er den Namen Virgilius zu entziffern vermochte, konnte ich ihn auf die Ursprünge der Salzburger Christianisierung verweisen. Der Hl. Rupert, der aus dem Fränkischen in das während der Völkerwanderungszeit fast völlig entvölkerte Oppidum Iuvavum der Römer gekommen war und als Landespatron Salzburgs am 24. September gefeiert wird (sein Standbild steht im Gewände des Südportals der Franziskanerkirche), aber vor allem Virgilius, der die iroschottische Mission in Salzburg vertrat und den ersten Salzburger Dom 774 einweihen konnte. Er gilt als umfassend gelehrter Mann und bringt Salzburg zu seiner ersten kulturellen Hochblüte (Schreibschule). Er selbst vertrat für seine Zeit ungewöhnliche Ansichten (dass z. B. die Erde eine Kugel sei und es deswegen Antipoden geben müsste), wofür er beim damaligen Papst wegen Ketzerei angeklagt wurde. Seine sterblichen Überreste wurden nach der Demolierung des romanischen Domes hierher überführt, wo er jetzt seine letzte Rugestätte gefunden hat. Auch diese Kirche geht wahrscheinlich auf seine Gründungsinitiative zurück."
Tief beeindruckt schritten wir nach vorne, wo sich der spätgotische Hallenchor an den älteren romanischen Teil anfügt. Drei Stufen (ohne zu wissen, ob dieser Zahl eine spirituelle Bedeutung beizumessen sei) höher liegt der neuere Teil und dort auch fügt sich eine alte Kanzel an die Trennmauer. Die längst ausgetretenen Stufen führen in leicht gewundener Form zur Kanzel. Am Beginn der Treppe ist eine für uns befremdliche Szene dargestellt: ein Löwe steht, das geöffnete Maul dem hinanschreitenden Prediger zugewendet, über einem liegenden Mann, der sein Schwert in dessen Flanke sticht.
"Ob dies als Warnung für den gemeint ist, dessen Worte von der Kanzel die Botschaft des Christentums verkünden soll, als Hinweis auf die Gefahren und Irrtümer, derer man sich dabei aussetzt?"
Der Spekulation nachsinnend gelangten wir zum rechten mittleren Pfeiler des Chores, auf dem wir Reste von mittelalterlichen Fresken entdeckten. Darauf sieht man zwei Steinmetze mit den damals üblichen Werkzeugen.
"Meister Hanns von Burghausen hat den spätgotischen Hallenchor begonnen, sein Schüler Stefan Krumberger hat ihn vollendet." sage ich pflichtbewusst und verweise auf die eigentümlichen Proportionen dieser Architektur. Der Grundriss ist exakt aus einem Zwölfeck abgeleitet, der Abschluß aus 7/12 Teilen heraus entwickelt und zwei Joche vermitteln zum romanischen Langhaus. Dreieck und Quadrat sind eng miteinander verwoben und lösen im Gewölbe zu einem frei schwingenden Sternrippengewölbe. Der Eindruck für die menschen des Mittelalters muss tatsächlicher so gewesen sein, als wäre der H immel dargestellt. Um wieviel stärker muss die Wirkung noch gewesen sein, als bunte Glasfenster das hereinströmende Licht in ein Himmlisches transzendierten."
"Lassen wir einmal die teologisch.-metaphysischen Spekulationen. Wie waren die Handwerker dieser Zeit überhaupt in der Lage, solche Bauwerke auszuführen?"
"Wir sollten deren Kenntnisse der Statik nicht unterschätzen. Über Jahrhunderte wurden Erfahrungen innerhalb der Bauhütten vom Meister an die Gesellen weitergegeben und immer mehr verfeinert. So wussten natürlich schon die romanischen Baumeister über die grundlegenden Bedingungen der Statik, über die Schub- und Zugkräfte innerhalb eines Gebäudesystems (vom Dach bis zum Fundament) Bescheid und sie konnten über den Rundbogen, den sie ja von römischen Bauten kannten, die Kräfte bündeln und ableiten. Darum konnte man auch später die bewährte Massivbauweise verlassen und das ganze Kräftespiel auf die entscheidenden Punkte innerhalb des Baus verlagern, was zur Skelettbauweise führte. Die Aushöhlung und Durchbrechung der Wand kurbelte die spekulative Phantasie an und führte zu spielerisch konstruktiven Formen des Strrebepfeilersystems. Hier in dieser Kirche aus dem späten Mittelalter wurde zu Gunsten der Vereinheitlchung der Raumwirkung (Hallenkirche) dieses Stützsystem einfach in die Kirche miteinbezogen und so entstand der Kapellenkranz."
Während unseres Gespräches waren wir am Turmausgang angelangt und durch die innere Türe getreten. Der kleine Raum, der unterhalb des Südturmes gelegen ist und zwischen Sakristei und Straße vermittelt, beherbergt ein unversehrtes Trichterportal aus der romanischen Epoche.
"Welch lustige Köpfe hier in das gestufte Portal eingelassen sind! Und was bedeuten die Szenen oberhalb der Tür?"
"Auf dem Tympanon, so heißt dieser halbkreisförmige Aufsatz, siehst du drei Männer, wobei der Wichtigste dir frontal engegenblickt. Es ist der thronende Christus als Weltenrichter und ihm zugewendet sind der Hl. Petrus als Gründer der Weltkirche und der Hl. Rupert als Gründer der Salzburger Kirche. Damit man dies auch versteht, halten sie kleine Kirchenmodelle als Attribute in den Händen."
"Has Reges Pastor Oves Quas Racione Foves Roberti Meritum Mitiget Interitum - Hoc Opus Exterius Nitide Decoratum Sic Deus Interius Cor Adornet Purificatum" entzifferte er und begehrte von mir die Übersetzung des lateinischen Textes. Da ich selbst mein Schullatein weitgehend vergessen hatte, musste ich den Kirchenführer zu Rate ziehen.
Ich las vor: "Lenke, o Hirte, die Herde, die du liebend hegst. Ruperts verdienst stimme dich sanft. Wie dieses Kunstwerk außen glanzvoll erstrahlt, so schmücke im Innern Gott das gereinigte Herz."
Mit diesem Motto verließen wir das Gebäude und tauchten ein in den lärmenden Strom der eilenden Touristen.

Anton Thiel, 8. 6. 2004