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MusGym: Sehr geehrter Herr Dr. Stricker, wir würden gerne von Ihnen wissen, welche Aufgabe Sie hier bei den "Salzburger Nachrichten" haben. Haben Sie so etwas wie ein bestimmtes Revier, wofür Sie zuständig sind? Könnten Sie uns Ihren Tagesablauf hier in der Redaktion schildern?
Stricker: Der Assad in Damaskus fällt in mein Revier, der Herr Gadafi in Tripolis fällt in mein Revier, die Königshochzeit in Großbritannien fällt nicht in mein Revier, obwohl sie außerhalb der Grenzen Österreichs stattfindet, aber das ist die internationale Chronik, das ist ein anderes Ressort. Die internationale Chronik ist die meistgelesene Seite in allen Zeitungen der Welt, das ist überall so, weil diese Nachrichten die Menschen am meisten interessieren. Sie sind zwar nicht die wichtigsten Dinge, aber die interessantesten, und deshalb eben die meistgelesenen. So etwas wie Royal Weddings, Flugzeugabstürze, Erdbeben finden auf der internationalen Chronik statt. Nicht bei mir. Wo ihr da jetzt sitzt, das ist der Konferenzraum.
Ich gebe euch jetzt einfach kurz ein Briefing, wie wir produzieren. Wir haben erstens keine fixen Arbeitszeiten, was sehr angenehm ist. Einer der wichtigsten Gründe, warum ich Journalist wurde, ist, weil ich mir dachte, dass ich nie wieder früh aufstehen muss. Das hat auch funktioniert, bis ich selbst ein Kind bekam und wieder früh aufstehen musste.
Das heißt, im Grunde kommen und gehen Journalisten, wann sie wollen, sie müssen nur ihre Arbeit erledigen. Und das Ganze läuft in einem bestimmten Rahmen ab. Fixpunkt ist hier um 13.00 Uhr an diesem Tisch. Da treffen sich von allen Ressorts die Abgesandten, um zu diskutieren, was die stärksten Geschichten sind. Was ein Ressort ist? Ressorts gibt es in jeder Zeitung, in jedem Magazin. In jeder Tageszeitung werdet ihr das finden. Das sind die Abteilungen, die für bestimmte Bereiche zuständig sind (Innenpolitik, Außenpolitik, Chronik, Kultur, Sport, Lokales …)
Fast wie in der Schule. Nur lustiger, glaube ich. Das sind also die Ressorts. Um 10.00 Uhr treffen sich schon die Vertreter der wichtigsten Ressorts zu einem ersten Meeting, sodass man ungefähr weiß, was vorliegt, und die Kolleginnen und Kollegen zum Recherchieren weiterschicken kann. Um 13.00 Uhr dann die Mittagskonferenz. Da ist meistens noch gar nichts fertig, da ist oft noch keine Zeile geschrieben. Nichts. Und jetzt, um 16.15 Uhr ist die sogenannte Layoutkonferenz. Da versammelt sich, wer immer auch möchte, hier unter der Führung der Chefs vom Dienst. Die Chefs vom Dienst sind zwei von uns, die die tägliche Logistik innehaben. Wenn die Redakteure also noch nicht rechtzeitig fertig sind, dann fragen diese: Was ist mit Ihrer Geschichte, es ist schon so und so spät. Es wird dann auch da der Stand der Produktion für morgen, der heute Abend gedruckt wird, überprüft und es wird durchgeschaut, ob es irgendwelche Fehler gibt, ob man ganz einen groben Bock abgeschossen hat oder einen Scheiß gebaut hat, wo wir noch hoffentlich rechtzeitig draufkommen. Um spätenstens 19.00 Uhr muss dann alles fertig sein. Das ist gestaffelt, denn würden wir jetzt alle Seiten gleichzeitig da rüber in die Druckerei schicken, würde es natürlich einen völligen Stau und ein völliges Chaos geben. Das heißt, die Seiten müssen gestaffelt angeliefert werden. Letze Seite 19.45 Uhr, das ist die Titelseite, dann drucken wir gegen 20.00 Uhr an. Erst werden einmal ein paar Tausend Exemplare runtergedruckt, das sind die, die in den Straßenverkauf gehen und in Österreich ausgeliefert werden und dann steht die Druckmaschine wieder und wir können noch ändern bis 23:50. Dafür gibt es einen Spätdienst, der diese Aufgabe übernimmt. Gelb heißt, dass diese Geschichten fertig sind. Wenn die Korrektoren, wir haben Korrektoren, trotzdem sind immer wieder Fehler in der Zeitung. Wenn die Korrektoren die Seite freigegeben haben, ist sie grün und wenn die Seite violett ist, ist sie in der Druckerei. Das heißt, man kann immer nachvollziehen, in welchem Stand der Produktion sich die Zeitung befindet. Man kann den Status einer Seite immer nachverfolgen: Gelb heißt, dass die Seite noch nicht fertig ist. Grün heißt, dass die Seite vom Redakteur freigegeben ist, dann geht sie zu den Korrektoren. Trotz der automatischen Rechtschreibkorrektur haben wir Korrektoren, trotzdem ist immer wieder einmal ein Fehler in der Zeitung zu finden. Nach der Korrektur wird die Seite in die Druckerei geschickt, dann ist sie violett.
Sehen sie das? (Er zeigt auf eine projizierte Seite der neuesten Ausgabe, die gerade in Arbeit ist.) Eine rote Zeile am Ende des Textes bedeutet, dass die Geschichte zu lang ist. Da sind also zwei Zeilen zu viel. Das hat sich wahrscheinlich so ergeben, weil der Grafiker die Grafik um zwei Zeilen höher gemacht hat als eingeplant. Das Kürzen geht zwar jetzt sehr auf die Kosten der Lesbarkeit, weil man weniger Absätze hat.
Es gibt Argenturen für Texte, Meldungen, Berichte, Hintergrundinfos, und es gibt auch Argenturen für Fotos. Das z. B. ist AP, also Associated Press, Sie sehen das da unten. Das ist der Bildtext, der ist logischerweise in Englisch, weil das weltweit verstanden werden muss. Sie sehen, solche Bilder werden sie bei uns in der Zeitung vergeblich suchen, denn wir bringen prinzipiell keine Leichen. Und auch keine sehr grausigen Fotos, weil wir der Meinung sind, dass das dem Nachrichtenwert der Ware die wir anbieten nicht erhöht. (28. 4. 2011: Anschlag auf Touristen-Café in Marrakesch)
Musgym: Wer beschließt, welche Bilder veröffentlicht werden? Gibt es da eine demokratische Entscheidung, was wann durch was ersetzt wird, was wichtiger ist und was hintangestellt werden kann? Welche Agenturen spielen eine Rolle?
Stricker: Die demokratischen Grundsatzentscheidungen, wenn wir so wenig Zeit haben, würden zum Nichterscheinen der Zeitung führen. Es ist natürlich eine professionelle Entscheidung, weil jeder von uns weiß und wir sind alle professionelle Journalisten und werden dafür auch nicht schlecht bezahlt, dass wir wissen, dass ein Anschlag in einem Touristencafé eine Riesengeschichte ist, das ist gar keine Frage.
Die Frage ist, wie groß machen wir's auf der Titelseite, das wird man diskutieren mit dem Chef vom Dienst und mit unserem Ressort, und dass wir das in unserem Ressort als Aufmacher bringen, ist ohnehin klar. Attentate zu kommentieren am Tag des Blutvergießens, machen wir nicht.
Wenn ich die Aufmerksamkeit jetzt noch einmal auf diese Agenturenliste lenken darf, das geht rund um die Uhr, weil irgendwann auf der Welt immer gerade Tag ist. Das ist jetzt die außenpolitische Art und Weise zu arbeiten, die anderen Ressort arbeiten natürlich anders. Zum Beispiel der Lokalteil macht seine ganzen Geschichten selbst. Von vorn bis hinten. Die haben keine Argenturen. Also es gibt eine APA in Salzburg aber die macht höchstens ein paar Unfallberichte, die die Kollegen aber nicht brauchen. Die haben ein eigenes Team von Fotografen und Menschen, die die Videos machen und online stellen. Und die sind davon abhängig, dass sie die Geschichten erfahren, recherchieren und schreiben. Wir in der Außenpolitik sind eher die klassischen Nachrichtenjournalisten, das heißt, wenn wir kommen, sichten wir zuerst einmal diesen Riesenberg an Informationen, um zu wissen, was überhaupt los gewesen ist, seitdem wir am Vorabend aus der Redaktion gegangen sind. Was ist wo in der Welt passiert und wie bewerten wir diese Information. Wir haben zwei Seiten pro Tag, manchmal ein bisschen mehr, da passt natürlich nur die Spitze des Eisbergs rein. Wir sichten und werten und kommentieren. Die Wirtschaft ist einen Mischgeschichte, die macht sehr viel selbst, die Innenpolitik ist ähnlich wie die Lokalredaktion, die machen sich ihre Geschichten auch großteils selbst. Der Sport ist natürlich von Sportereignissen abhängig.
Musgym: Und die Korrespondenten? (= ein Journalist, der fest angestellt oder als freier Mitarbeiter für Printmedien, Hörfunk, Fernsehen, Nachrichtenagenturen oder Online-Redaktionen außerhalb einer Redaktion dauerhaft oder für einen bestimmten Zeitraum über ein Land, eine Region oder über besondere Ereignisse berichtet.) Hat die SN hat viele Korrespondenten?
Stricker: Ja 15, die sitzen in der ganzen Welt verstreut, arbeiten in Österreich exklusiv für die SN, aber haben auch andere deutschsprachige Zeitungen als Kunden, weil sie von den Honoraren, die eine Zeitung ihnen zahlt, nicht leben könnten. Und die Korrespondenten bieten ihre Geschichten über E-mail an oder wir rufen sie an und fordern die Geschichten oder diskutieren mit ihnen und sagen, geh bitte, schreib uns einen Kommentar noch dazu. Die schreiben nicht auf Zeile, wenn die vier Zeitungen beliefern, können sie nicht für jede Zeitung einen eigenen Text schreiben. Also die liefern das Rohmaterial und wir redigieren die Geschichte dann genau auf Zeile, so wie wir es für das Layout brauchen.
Die Gruppe macht noch einen Rundgang durch die Redaktionsräume, spricht mit Redakteuren aus den unterschiedlichen Ressorts und blättert in den alten Ausgaben der "Salzburger Nachrichten". Dauer der Veranstaltung: 3 Stunden.
> 1. Ausgabe der "Salzburger Nachrichten"
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