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Musgym: Die erste Frage ist gleich, wie wird man Chefredakteur?
Perterer: In unserem Fall, indem man einfach bestellt wird von den Eigentümern der Zeitung. Das war in meinem Fall so, dass die beiden Eigentümer Dr. Max Dasch und seine Schwester Trude Keindl Hönig offenbar der Meinung waren, dass ich der geeignetste Kandidat dafür bin, sie haben mir das Angebot gemacht, und ich habe es angenommen und so bin ich Chefredakteur geworden.
Musgym: Ist das nur die Frage des Eigentümers oder können auch Journalistenkollegen mitreden?
Perterer: Nein, in unserem Fall nicht. Es gibt ein paar verschieden Modelle in Österreich, wir sind ein klassisch eigentümergeführtes Familienunternehmen, wo sich die Eigentümer dieses und ein paar andere Entscheidungen vorbehalten.
Aber es gibt ein paar Modelle und zwar die kleine Zeitung, da gibt es eine Abstimmung, und zwar in der Redaktion, da muss der vorgeschlagene Chefredakteur überleben.
Im "profil" gibt es auch Mitsprachemöglichkeiten, im "Kurier", aber die sind in der Regel sehr eingeschränkt. Es können vorgeschlagene Kandidaten nur abgelehnt werden, aber nicht selbst vorgeschlagen von den Mitarbeitern; und dann braucht man eine zweite Mehrheit. Und das hat es in der Vergangenheit, ich glaube nur ein Mal, in der jüngeren Geschichte Österreichs gegeben.
Musgym: Wie fühlt man sich, wenn man einem eingeschworenen Team, wie jenem der SN, vor die Nase gesetzt wird? Ist das eine schwierige Geschichte?
Perterer: Nein, ich habe mich ja nicht vor die Nase gesetzt gefühlt, sondern habe eine relativ günstige Ausgangsposition gehabt, nachdem ich vor meiner Bestellung bereits fünf Jahre lang in Brüssel als Korrespondent gearbeitet habe und quasi nicht direkt aus dem Haus gekommen bin, sondern fünf Jahre weg war. Deshalb habe mich leichter getan, als wäre ich hier aus irgendeiner Funktion den anderen einfach vorgesetzt worden Man tut sich immer leichter, wenn man von außen kommt.
Musgym: Sie sind also schon länger bei den SN gewesen?
Perterer: Ich bin insgesamt schon ca. 25. Jahre bei dieser Zeitung. Während der Zeit in Brüssel habe ich einen gewissen Abstand zur Redaktion gewinnen können und deshalb war es dann auch nicht so schwierig, aus dem Kreise der Kolleginnen und Kollegen an erste Stelle zu kommen. Da gibt es zwar ab und zu Probleme, aber in meinem Fall war das nicht so.
Musgym: Gibt es ein paar melancholische Erinnerungen an die Zeit, in der Sie nicht verantwortlich für so einen großen Betrieb sein mussten?
Perterer: Es hat beides etwas für sich. Aber ich habe die Zeit als Korrespondent in Brüssel sehr genossen, es waren sicher, journalistisch betrachtet, die schönsten Jahre in meiner beruflichen Laufbahn, weil ich nichts „anderes“ tun musste als Journalist zu sein, gute Geschichten zu finden oder zu schreiben und an die Redaktion nach Hause zu schicken. Ich musste mich nicht einmal darum kümmern, dass die Länge passt, ich habe mich nicht darum kümmern müssen, wie die Seite ausschaut oder irgendwelche anderen organisatorischen Dinge dieser Art. Jetzt ist meine Aufgabe eine völlig andere, und davon ist ein großer Teil ein nicht journalistischer, da geht es um Führungsaufgaben, Organisation, Management, Finanzen, Personal etc ... Und ich komme zum Journalistischen nur mehr selten, das ist eigentlich so eine kleine Träne, die ich da immer wieder zerdrücke. Das andere hat aber auch seinen großen Reiz. Eine Redaktion führen zu können ist schon eine tolle Geschichte.Die Frage ist, wie lange man so etwas machen kann, sodass es immer noch eine große Freude ist, oder ob vielleicht wieder einmal eine Zeit kommt, wo ich mich mehr journalistisch betätigen kann.
Musgym: Sie haben ja auch schon zwei prägende Vorläufer gehabt, Ritschel und Barazon, die die Zeitung sehr unterschiedlich geprägt haben. Welchen Einfluss hat der eigene Background auf die Zeitung, die man führt?
Perterer: Ich glaube insgesamt nicht so sehr. Die beiden haben natürlich auch ihre journalistischen Spezialgebiete gehabt, Ritschel hat sehr viel im kulturellen Bereich gearbeitet, Barazon hatte seine Schwerpunkt in der Wirtschaft. Wir haben weder unter Barazon den Wirtschaftsteil ausgeweitet noch unter Ritschel den Kulturteil.
Ich komme ursprünglich aus dem lokalen Bereich, ich bin sozusagen einer der in der Lokalberichterstattung aufgewachsen, erst dann ist der politischen Bereich dazugekommen. Dass einem immer die Themen, aus denen man kommt, sehr am Herzen liegen, das streite ich gar nicht ab, mir ist der Lokalteil der Zeitung sehr wichtig und der Salzburg-Bezug, weil ich hier gelernt habe, dass dies sehr wichtig für die Leser und Leserinnen ist.
Musgym: Zeitungslandschaft Österreich: Es gibt da so eine Art von Gefälle von der Hauptstadt zu den Bundesländern. Merkt man dies in der Art und Weise, wie Zeitung gemacht wird? Oder gibt es da eine Art von ausgleichender Wertschätzung?
Perterer: Die "Salzburger Nachrichten" sind in der glücklichen Situation, dass wir zumindest in der Relation zu den anderen Regionalzeitungen, wenn ich das schon so bezeichnen möchte, die angesehenste sind und sie auch diesbezüglich ernst genommen wird. Aber es ist für Zeitungen, die aus den Bundesländern kommen, schon sehr schwierig, auf dem sogenannten Wasserkopfmarkt in Österreich tatsächlich Fuß zu fassen und wahrgenommen zu werden. Wir haben über das Bundesland Salzburg hinaus eine relativ starke Verbreitung. Die SN haben, seit sie gegründet wurden, immer schon außerhalb der eigentlichen „Heimat“ ziemlich viele Leserinnen und Leser im Vergleich zu anderen Bundesländerzeitungen, die in ihren Ländern sehr erfolgreich sind, aber sich eigentlich nie darum gekümmert haben, ob sie in Wien ein paar Leser oder Leserinnen haben oder nicht. Wir haben ein Drittel der Leser außerhalb des eigenen Bundeslands, das unterscheidet uns von den anderen. Es ist aber trotzdem schwierig und ich versuche immer wieder, Wien darauf aufmerksam zu machen, dass die Republik nicht an den Stadtgrenzen Wiens endet.
In den Regionen leben sehr viel Menschen, die auch ihre Interessen haben und mit ihnen auch ihre Zeitungen, und wir betreiben da so ein bisschen Politik nach dem Motto "steter Tropfen höhlt den Stein".
Musgym: Uns interessiert, wie eine Zeitung gemacht wird, wie erfolgt die Auswahl der Bilder? Haben Sie Einfluss auf das Aussehen der Zeitung? Gibt es Tabus, was darf man, was darf man nicht?
Perterer: Tabus gibt es überhaupt nicht. Es soll alles angesprochen werden, die Frage ist, ob man es veröffentlicht. Da gibt es schon Tabus für uns als Zeitung. Es geht z. B. um den Schutz der Betroffenen. Sie werden bei uns nichts finden Fehler mögen passieren das die Betroffenen bloßstellt.
Die erste Auswahl der Beiträge erfolgt in den einzelnen Ressorts. Wir haben dann immer um 10 Uhr eine kleine Gruppe , die die wichtigsten Themen des Tages, soweit sie schon einmal in unseren Köpfen sind, diskutieren. Um eins ist noch einmal eine Besprechung, da sitzen wieder alle Abteilungsleiter zusammen, da wissen wir dann schon ein bisschen mehr, was so los ist. Gibt es Korrespondentenberichte, gibt es eigene Berichte, Agenturmeldungen, welche Bilder sind da? Heute ganz aktuell gibt es Bilder von Osama bin Laden, und da wären wir dann auch bei einem Tabu: Bringen wir so ein Bild des erschossenen bin Laden? Ein Bild ist schon über alle möglichen Agenturen verbreitet worden, das hat sich mittlerweile als Fälschung herausgestellt, ist also kein authentisches Bild.
Meine Möglichkeit des Einflusses ist natürlich nicht, dass ich ständig hinter den Leuten her bin und sage, was mir besser gefallen würde und was nicht, nein, es gibt schon Kriterien, die wichtig sind bei der Einteilung. Das haben aber alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Kopf, sie wissen ganz genau, nach welchen Aktualitätskriterien wir irgendetwas in die Zeitung stellen. Es muss für möglichst viele Menschen interessant sein und wichtig und bedeutungsvoll etc. Nach diesen Kriterien wird dann ausgesucht.
Um 16:15 Uhr gibt es dann noch einmal eine kleine Besprechung. Sie merken schon, es gibt viele Meetings, wobei wir versuchen, diese so kurz wie möglich zu halten.
Die Planung ist ganz wichtig für die reibungslosen Abläufe. Ich greife in erster Linie dann noch bei der Endkontrolle am Abend ein, schau noch einmal, ob man irgendetwas besser machen könnte. Meistens machen die Kollegen ihren Job so gut, wie ich es selbst wahrscheinlich nie könnte und deshalb muss ich auch nichts ändern.
Ich halte das mit dem Führungsstil so, wenn alles mit allen deutlich und klar besprochen wurde, braucht man hinterher nicht korrigierend eingreifen. Am nächsten Tag diskutieren wir darüber, ob das gut oder nicht so gut war und was wir in Zukunft verbessern könnten .
Musgym: Weil Sie vorher das Wort Führungsstil verwendet haben, sehen Sie sich selbst als Führer der Firma oder als Manager?
Perterer: Führer ist ja so negativ behaftet aufgrund der historischen Ereignisse, aber man muss beide Funktionen wahrnehmen. Managen ist ja für mich eher eine organisatorische Arbeit, die ich erfüllen muss, aber führen ist eine eher inhaltliche Tätigkeit. Ich glaube, man muss auch als Vorbild für die Kolleginnen und Kollegen da sein, das hat mit Management überhaupt nichts zu tun.
Musgym: Wir haben über Ihre neue Initiative diskutiert, die Sie als 10 Reformvorschläge für Österreich an die Republik richten. Wie kommen Sie auf diese 10 Punkte?
Perterer: Auf 10 sind wir eher aus plakativen Gründen gekommen, bin ich ehrlich, man hätte genauso 17 oder 7 oder 12 finden können. Nach einem Kommentar von mir im vergangenen Spätherbst hat es sehr viele Reaktionen aus dem Publikum gegeben und unser Wunsch war, die Leserinnen und Leser einfach an der politischen Diskussion in Österreich zu beteiligen, da sind viele Vorschläge eingetroffen und die haben sich dann bei genauerer Sichtung in etwa 10 Themenbereiche einteilen lassen. Es ist dann schon ein bisschen willkürlich auf die 10 hingekommen. Wir haben dann als zweiten Schritt Persönlichkeiten aus möglichst vielen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Bereichen zu Vorträgen eingeladen und haben versucht, bestimmte Themen zu vertiefen. In einer ersten Zwischenbilanz haben wir dann versucht, 10 Punkte zu formulieren. Wir haben uns bewusst der Kritik ausgesetzt. Insgesamt geht es aber darum, dass wir einfach die Diskussion am Leben halten möchten und dafür sorgen, dass in Österreich die politische Diskussion wieder mehr in Gang kommt und dass sich die Bürger und Bürgerinnen daran stärker beteiligen.
Musgym: Hat man als kritischer Redakteur tatsächlich den Eindruck, dass sich in Österreich gar nichts bewegt?
Perterer: Es ist ja in dem Heft ein Beitrag von Konrad Paul Liessmann, der für den Stillstand ein Plädoyer schreibt. Er ist nicht mehr einverstanden mit dieser permanenten Reformwut oder dieser künstlichen Aktivitätenantreiberei. Dieser Haltung von Professor Liessmann kann man natürlich einiges abgewinnen. Gerade Sie aus dem Schulbereich haben da vieles mitgemacht in den letzten 30 Jahren, denn Reformen hat es ja immer gegeben. Die Frage ist ja nur , war es wichtig, war es gut, war es notwendig usw. Im politischen Bereich haben wir tatsächlich den Eindruck gewinnen müssen, dass sich vieles auf das Verwalten des täglichen Geschäftes beschränkt. Wir vermissen die großen Vorstellungen von der Zukunft dieses Landes, das ist so nicht nur mein persönlicher Eindruck, den haben viele Menschen und das war auch der Grund, warum gerade auf unsere 10 Reformvorschläge so viele Reaktionen gekommen sind.
Man entwickelt ja als Journalist eine gewisse Sensibilität dafür, welche Themen besonders gut bei den Bürgern ankommen und welche die Leute richtig aufregen und welche weniger, und das war nun so ein Klassiker, wo ich direkt überrascht war, wie sehr das unter die Haut vieler Menschen gegangen ist. Viele Menschen haben das Gefühl, es herrsche Stillstand, wobei, um mit Liessmann zu sprechen, das manchmal auch positiv sein kann.
Musgym: Eine Frage nach der Kommunikationsfähigkeit in unserem Land. Es wird von Denkern immer wieder beklagt, dass der öffentliche Diskurs nicht funktioniere. Warum haben die Aussagen von Philosophen, Wissenschaftern und Künstlern eine so geringe Resonanz in Österreich?
Perterer: Es gibt diese öffentliche Diskussion, diesen Diskurs im minimalem Ausmaß. Ich glaube auch, dass sich die Bildungsbürgerschicht dieses Landes zu wenig daran beteiligt, um nicht zu sagen die Intellektuellen. Auch die Kulturschaffenden haben sich bis auf wenige davon völlig abgekoppelt, sie liefern keine wesentlichen Beiträge mehr, das kann jetzt eine Form der Resignation sein und innerer Emigration. Ich glaube nicht, dass die Fähigkeiten nicht da wären. Ich weiß auch nicht, inwieweit man solche Diskussionen in kleinen Zirkeln, um nicht zu sagen in geheimen Zirkeln, hinter verschlossenen Wänden stattfinden, aber öffentlich finden sie nicht oder kaum statt.
Musgym: Eine Neuauflage des Modells der aufgeklärten Monarchie? Es denken ganz wenige dann pauschal für alle. Wie anspruchsvoll dürfen die "Salzburger Nachrichten" werden, um in diesem gewünschten Diskurs mithalten zu können, und wie anspruchslos müssen die Journalisten schreiben, dass sie von einer breiten Mehrheit verstanden werden?
Perterer: Ich halte ja nichts von der Theorie des "blöden" Lesers oder der "blöden" Leserin! Früher hat es immer wieder Schriftredakteure gegeben, die gemeint haben, wenn es die Leute nicht verstehen, dann sind sie halt zu blöd, das ist mir egal, wir schreiben so. Ich glaube, dass Qualität auf jedem Niveau möglich ist, und hohe Qualität wird von allen Menschen verstanden. Es ist nicht ein Zeichen hoher journalistischer Qualität, wenn ich so schreibe, dass es keiner mehr versteht. Gerade darin liegt die Kunst, komplexe Sachverhalte so zu schreiben, dass sie jeder und jede verstehen kann. Insofern habe ich überhaupt keine Angst, dass wir uns von dem Anspruch her zu weit von den Lesern/innen entfernen. Es lassen sich auch in einer gescheiten Zeitung alle Themen bearbeiten, es darf keine "Pfuigaga"-Themen oder so etwas für uns geben. Auch wenn es mich persönlich nicht besonders interessieren sollte, muss ich sie wahrnehmen. Über den Musikantenstadl oder Hansi Hinterseer kann man geteilter Meinung sein, bei einer Million Zuschauer im Fernseher können wir an diesem Phänomen nicht so einfach vorbeigehen und sagen, das interessiert uns nicht, der ist blöd oder der ist mir zu blond oder was weiß ich. Wenn wir uns auf einem anspruchsvollen Niveau mit ihm auseinandersetzen, das heißt nicht hochnäsig, das heißt nicht eine völlige Vernichtung, das ist ja auch nicht unsere Aufgabe, sondern sich mit diesem Phänomen des Trivialen, der "heilen-Welt-Schlagers" aus meiner Tiroler Heimat auseinandersetzten und dann wird man zu Schlüssen kommen. So müssen wir an die Dinge herangehen.
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