1. Bild
Im ersten Blatt liegt Johannes zwischen zwei Leuchtern auf den Knien. Er wagt es nicht aufzublicken, die Locken hängen ihm vor die Augen. Wir erkennen das junge Gesicht und die berühmten feinen, hier gefaltenen Zeichnerhände Dürers wieder. Ein Zipfel seines Mantels liegt vor ihm auf dem Boden ausgebreitet, der Hintersaum fältelt sich um die gekrümmten, nackten Fußsohlen. Es ist ein Bild eines überwältigten Menschen der lediglich denkt: Sprich, Herr, dein Knecht hört hin. Der Menschensohn geht nicht umher zwischen den Leuchtern. Er sitzt auf einem Regenbogen, die Schuhe keine Füße, glühend wie Kupfer im Feuer ruhen auf einem zweiten Bogen. Er ist auch nicht jung, vielmehr gleicht er dem Gottvater selbst, wie ihn Dürer oft darstellt. Seine Brauen gehen in Stichflammen über, die quer über die Ringellocken seitwärts ausschlagen. Der Knauf des Schwertes berührt den Mundwinkel, der lange Bart reicht ihm bis auf die Brust herab. Drei Strahlenbündeln schießen, der Dreifaltigkeit gleich, hinter diesem Asketenkopf hervor, der ins Leere starrt. Aus einem weiten, unwirklich gefalteten Ärmel ragt in einem engeren Unterärmel die rechte Hand in die Höhe. Um die breitgespreizten Finger tanzen die sieben Sterne wie goldene Mücken an einem Sommerabend. Überall beherrschen Knitterfalten das Bild: über dem goldenen Gürtel (der nicht dicht unter den Brüsten sitzt, wie der Text es will), im Schoß, über dem Regenbogen, in einem großen Zipfel neben den Schuhen. Der Menschensohn thront in einer Lichtöffnung zwischen zwei turmhohen Quellwolken. Auch Johannes kniet auf einer Wolkenplattform, auf der auch die fast mannshohen Leuchter stehen. Sie alle sind nicht von ungefähr verschieden und zeigen ein ganzes Repertoire der Goldschmiedekunst. Denn Dürer war der Sohn eines Goldschmieds. Die kurzen Kerzen brennen, eine Flamme weht seitwärts in wer weiß welch übernatürlichem Luftzug. Es war Sonntag, sagt der Text, der Tag des Herrn.
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